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Warum ein Leitsystem allein nicht reicht und was in der Niederspannung wirklich zählt

Geschrieben von Admin | 22.09.2025 12:49:40

Ein Blick auf die Anforderungen, Unterschiede und Herausforderungen moderner Leitsysteme in der Verteilnetzführung 

Leitsysteme, auch als SCADA-Systeme bekannt, bilden die zentrale Steuerungs- und Überwachungseinheit für elektrische Netze. Sie ermöglichen Netzbetreibern, in Echtzeit den Zustand ihrer Infrastruktur zu erfassen, Störungen zu identifizieren, Schalthandlungen auszuführen und den sicheren Betrieb des Systems zu gewährleisten. In der Hoch- und Mittelspannung sind solche Systeme seit Jahrzehnten etabliert, hochentwickelt und gelten als Standard. 

Doch in der Niederspannung sieht das Bild bisher ganz anders aus: Klassische Leitsysteme finden hier bislang kaum Anwendung. Die Gründe dafür sind vielfältig: Einerseits fehlten Sensoren, um den Zustand zu erfassen. Hinzu kommt fehlende Fernwirktechnik, um zu steuern. Andererseits ist die Netzbelastung in der Niederspannung ohnehin geringer, was den Mehrwert einer Überwachung schmälert. Auswirkungen von Fehlern sind im Niederspannungsbereich zudem deutlich geringer als in höheren Spannungsebenen, sodass meist weniger Kunden betroffen sind. All das führt dazu, dass die Netzführung vielfach auf Basis von Erfahrungswissen, manuellen Prozessen oder Planungsdaten erfolgte. Erst in den letzten Jahren – getrieben durch regulatorische Anforderungen wie § 14a EnWG, die zunehmende Durchdringung mit Smart Metern und den Ausbau dezentraler Erzeuger – entstanden erste Ansätze, die Komplexität der Niederspannung digital abzubilden. Wieso ein einfaches „Herunterbrechen“ des bestehenden SCADA-Ansatzes auf die Niederspannung nicht ausreicht, erfahrt ihr im Folgenden. 

Rahmenbedingungen: Hoch- vs. Niederspannung 

Dass Hoch- und Niederspannung in vielen Aspekten verschieden sind, liegt auf der Hand. Auch bezogen auf das SCADA-Konzept gibt es deutliche Differenzierungen, denn die technischen, organisatorischen und prozessualen Rahmenbedingungen sind völlig andere: 

  in der Hochspannung: in der Niederspannung: 
  • Kritikalität der einzelnen Maßnahmen
hoch gering
  • Menge an Daten
gering hoch
  • Dynamik der Daten
gering hoch

Es braucht also mehr als eine weitere konventionelle Leitwarte. Es braucht einen neuen Ansatz für die Niederspannung – einen, der nicht nur technische Voraussetzungen erfüllt, sondern Prozesse ganzheitlich denkt und skaliert, denn der Bedarf für Automatisierung ist in der Niederspannung deutlich höher. Das macht eine hohe Datenqualität relevanter und die Integrierbarkeit mit anderen Systemen unabdingbar.  

Wenn wir die Anforderungen der Niederspannung ernst nehmen, sprechen wir dann überhaupt noch von einem Leitsystem? Oder beginnt hier eine neue Ära in der Netzführung? Welche Möglichkeiten es für diese neue Ära gibt, vom PlanOps-Ansatz bis hin zu einer durchgängigen Datenplattform als „Single Source of Truth“, erfährst du im Folgenden. 

 

Leitsystem ist nicht gleich Leitsystem – ein häufiges Missverständnis 

Leitsysteme sind das Rückgrat der Netzführung in der Mittel- und Hochspannung. Doch wer denkt, dass sich diese Systeme einfach auf die Niederspannung übertragen lassen, irrt. Denn je nach Spannungsebene unterscheiden sich sowohl Fokus als auch Funktionsweise – und zwar grundlegend. 

Während klassische SCADA-Systeme auf die Echtzeitsteuerung und Überwachung einzelner Betriebsmittel in der Mittel- und Hochspannung ausgelegt sind, geht es in der Niederspannung oft um Masse und Klasse: Tausende Ortsnetzstationen, stark fragmentierte Netze und automatisierte Prozesse bestimmen hier das Bild. Eine manuelle Überwachung ist weder praktikabel noch wäre sie wirtschaftlich und bei den vorherrschenden Personalengpässen ist sie undenkbar. 

Auch die fragmentierte Datenlandschaft erhöht die Komplexität eines LV-SCADA-Ansatzes: Unterschiedliche Systeme, Datenformate und fehlende Messwerte machen eine konsistente Netzführung zur Herausforderung. Hinzu kommen mit Dezentralität und Dynamik zwei Faktoren, durch die sich die Netzsituation rasant ändert, denn neue PV-Anlagen, Wärmepumpen oder Ladesäulen nehmen stetig Einfluss auf die Netzinfrastruktur. Die Folge: „Ein weiteres Leitsystem“, das lediglich die Sicht auf eine neue Spannungsebene ermöglicht, ist keine nachhaltige Lösung.  

Im klassischen Verständnis übernimmt das Leitsystem die Rolle des führenden Systems für die Datenhaltung. Das bedeutet jedoch auch: Neben dem planerischen Netzmodell entsteht ein zweites Netzmodell. Angesichts der hohen Dynamik und Datenmengen in der Niederspannung liefert das kaum einen echten Mehrwert. Stattdessen braucht es einen anderen Ansatz: Ein NS-Leitsystem sollte Daten – etwa aus dem GIS – integrieren und verknüpfen. Damit wird es nicht zu einem weiteren führenden System, sondern vielmehr zu einem prozessbegleitenden Werkzeug, das Transparenz schafft und Entscheidungen unterstützt. 

 

Was braucht ein modernes Niederspannungsleitsystem? 

Ein Niederspannungsleitsystem muss mehr leisten als ein klassisches SCADA-System. Nicht, weil es grundsätzlich „mehr kann“, sondern weil es andere Anforderungen erfüllen muss. Denn auch mit der zunehmenden Relevanz des §14a EnWG, dem regulatorischen Druck, steuern zu können und der Integration intelligenter Messsysteme wird klar: Die Herausforderungen der Niederspannung lassen sich nicht mit klassischen Mitteln bewältigen. Stattdessen braucht es: 

  • Hohe Skalierbarkeit: Verteilnetzbetreiber betreiben in der Regel Netze mit mehreren Hundert, z.T. sogar mehreren Tausend Ortsnetzstationen – ein manuelles Monitoring ist hier schlicht nicht möglich. 
  • Automatisierung & Ausfallsicherheit: Vor allem in der Niederspannung müssen Regelprozesse automatisiert laufen. Menschliches Eingreifen sollte nur bei kritischen Anomalien notwendig sein. 
  • Selektive Transparenz: Nicht alles ist gleich wichtig und relevante Ereignisse müssen gezielt erkennbar sein. Aus diesem Grund müssen Systeme in der Lage sein, relevante Ereignisse intelligent zu selektieren und den Nutzer nicht mit Informationen nach dem Gießkannen-Prinzip zu überschütten, ihn jedoch auch nicht im Unklaren lassen.  
  • Plattformdenken statt Silos: Planung, Betrieb und Steuerung verschmelzen zunehmend miteinander. Das bedeutet in der Praxis zum Beispiel, dass Schalthandlungen, die im Feld per Tablet erfasst werden, unmittelbar im System der Leitstelle sichtbar und nachvollziehbar sein sollten. Eine enge Verzahnung für verschiedenste Usergruppen im Netzbetrieb gelingt jedoch nur über eine integrierte Plattformlösung. 
  • Hohe Datenqualität als Schlüsselfaktor: Eine zuverlässige State Estimation bildet die Grundlage für automatisiertes Engpassmanagement, Steuerungsentscheidungen und Netzsicherheit. Dafür braucht es valide, kontinuierlich aktualisierte Netzmodelle, die in der Lage sind, auch bei fragmentierter Datenlage einen belastbaren Netzzustand zu berechnen.  

 

OT vs. IT – die Frage der richtigen Architektur

Ein weiterer zentraler Punkt ist die Hosting-Strategie: Klassische SCADA-Systeme sind meist tief in der OT (Operational Technology) und damit fest in der betrieblichen Infrastruktur des Netzbetreibers verankert. Doch in der Niederspannung stößt dieses Modell an Grenzen: 

  • Lösungen in der IT ermöglichen eine bessere Skalierung, moderne Datenverarbeitung und flexible Integrationen. 
  • Cloud-Ansätze erlauben ein dezentrales, aber zentral orchestriertes Netzmonitoring. 
  • Die Herausforderung: Sicherheit und Integration in bestehende OT-Strukturen müssen dennoch gewährleistet sein. 

Ein guter Kompromiss liegt in einem hybriden Modell, welches IT-basierte Plattformen mit Schnittstellen zur OT sicher, leistungs- und zukunftsfähig macht. Die pauschale Antwort „Leitsystem = OT“ greift hier zu kurz. Stattdessen sollten für eine fundierte Entscheidung die zentralen Anforderungen betrachtet werden. Wie ein guter Kompromiss zwischen Skalierbarkeit und Sicherheit aussehen kann, entscheidet dann jeder Verteilnetzbetreiber individuell.  

 

Der echte Mehrwert entsteht im Zusammenspiel, nicht im Tool 

Ein klassisches Niederspannungsleitsystem greift zu kurz, wenn es nur eine weitere Visualisierungsebene darstellt. Der Schlüssel liegt in integrierten Prozessen, wie envelio sie mit dem PlanOps-Ansatz umsetzt: Netzführung in der Niederspannung bedeutet vor allem Massenprozesse, die ohne ein hohes Maß an Automatisierung kaum zu bewältigen sind. Gleichzeitig darf Netzführung nicht isoliert betrachtet werden: Sie ist eng mit der Planung verzahnt und beeinflusst direkt, wie Messdaten genutzt werden. Das zeigt sich etwa daran, dass zur Priorisierung von Planungsmaßnahmen bisher häufig Abregelungen durchgeführt wurden. Genau hier setzt PlanOps an – mit einem Ansatz, der Prozesse durchgängig integriert und Planung und Betrieb konsequent verbindet: 

  • State Estimation & Grid Insights für mehr Transparenz: Wo sind Engpässe heute und wo entstehen sie morgen? Mithilfe der Intelligent Grid Plattform (IGP) können Netzbetreiber eine Kritikalitätsprüfung durchführen, und so frühzeitig Schwachstellen im Netz erkennen, etwa auf Basis von iMSys-Daten (TAF10), Abgangsmessungen oder Netzmodellen. 
  • Engpassmanagement nach § 14a EnWG mit Handlungsoptionen: Engpässe werden automatisiert erkannt, bewertet und gesteuert, inklusive der Übergabe an das diskriminierungsfreie Engpassmanagement und Ansteuerung der Anlagen über die BDEW-API. 
  • Harmonisierung von § 14a EnWG und § 9 EEG statt regulatorischem Pingpong: Oft wird zwischen Engpässen aufgrund von Last (§ 14a) und Einspeisung (§ 9) getrennt. Doch in der Realität verschwimmen die Grenzen. Eine optimierte, harmonisierte Steuerung beider Prozesse ist nicht nur effizienter, sie ist vor allem notwendig. 
  • „Anlagen-TÜV“ nach § 12 EnWG & Redispatch: Betriebsführung ist mehr als nur Monitoring, sie braucht intelligente Koordination. Daher lassen sich auch komplexe Prozesse wie der sogenannte Anlagen-TÜV digital abbilden: Vom Testplan über Steuerbefehle bis zur Koordination aller Beteiligten. 

 

Fazit: Es geht nicht um ein weiteres Leitsystem, sondern um den nächsten Schritt in der Netzführung

Die Zukunft der Netzbetriebsführung – insbesondere in der Niederspannung – verlangt mehr als nur ein neues Tool. Ein konventionelles Niederspannungsleitsystem greift hier zu kurz, denn die Herausforderungen, die sich aus der Energiewende, regulatorischen Anforderungen und der mitunter schieren Zahl an Ortsnetzstationen ergeben, sind mit klassischen SCADA-Systemen nicht mehr beherrschbar. Stattdessen braucht es:  

  • Intelligente Datenvernetzung 
  • Hohe Automatisierung 
  • Systemische Integration statt Silolösungen 
  • Prozessorientiertes Arbeiten statt reaktives Steuern 

Mit der IGP setzt envelio genau hier an: Mit einem Plattformansatz, der nicht nur visualisiert, sondern Handlung möglich macht. Das schafft Transparenz über alle Spannungsebenen hinweg, skaliert zuverlässig auch bei einer hohen Zahl an Netzstationen und bildet regulatorisch geforderte Prozesse automatisiert ab.