Technologieführerschaft durch Energiewende
Egal ob Netzausbau, Smart-Meter-Rollout oder Ausbau der Ladeinfrastruktur: Deutschland stellt sich in vielen Bereichen der Energiewende allzu oft ein schlechtes Zeugnis aus. Zeit für einen Perspektivwechsel: Das deutsche Energiesystem gehört technologisch weltweit zu den Vorreitern – dank smarter Technologie made in Germany.
Dieser Meinungsbeitrag von Simon Koopmann, Geschäftsführer von envelio, wurde im Original auf dem Fachportal energate-messenager.de veröffentlicht.
Hinter dem Zeitplan, ausgebremst von selbst auferlegter Bürokratie oder zu wenig digital und innovativ: Deutschland steht in Sachen Energiewende oft in der Kritik – nicht zuletzt von Kritikern im eigenen Land. Sei es der schleppende Smart-Meter-Rollout, der zu langsame Windenergieausbau im Süden, das Gebäudeenergiegesetz oder der Netzengpass in Oranienburg. Die vorgebrachten Kritikpunkte zeigen die Verunsicherung in der Gesellschaft hinsichtlich einer erfolgreichen Energiewende und dass noch längst nicht alle von den dafür notwendigen Maßnahmen überzeugt sind. Bei aller zum Teil auch berechtigten Kritik dürfen wir aber nicht übersehen, dass das deutsche Energiesystem technologisch weltweit zu den Vorreitern gehört und es im Sinne der globalen Energiewende unser erklärtes Ziel sein muss, unsere Technologien zum nächsten Exportschlager zu machen.
Schwierigkeiten fast unvermeidbar
Die Energiewende bringt viele neue Herausforderungen mit sich, das ist unbestritten. Doch angesichts der Tatsache, dass unser Strommarkt einer der komplexesten und am stärksten regulierten der Welt ist, sind Schwierigkeiten fast unvermeidbar. Immerhin gibt es in Deutschland mehr als 800 Netzbetreiber, die mit 1,9 Millionen Kilometern Leitungen das längste Netz Europas betreiben. Der Strom, der durch diese Leitungen fließt, stammt zu einem immer größeren Anteil aus erneuerbaren Energien – im vergangenen Jahr waren es bereits 56 Prozent.
Diese Energiequellen schwanken und sind daher schwieriger zu managen als beispielsweise Wasserkraft, die in Norwegen für einen noch höheren EE-Anteil sorgt. Trotzdem ist es uns gelungen, unser Netz mit nur 12,2 Minuten Ausfallzeit pro Endverbraucher und Jahr(2022) zu einem der zuverlässigsten der Welt zu machen. Sicherlich gibt es bei der Energiewende in Deutschland einiges zu optimieren, insbesondere an den regulatorischen Rahmenbedingungen. Doch ganz so hoffnungslos, wie es in der Öffentlichkeit und in den Medien oft dargestellt wird, ist die Situation hierzulande beileibe nicht.
Paragraf 14a: Branche hat gezeigt, dass es geht
Denn auch wenn die umfangreiche Regulierung des deutschen Strommarktes im internationalen Vergleich ihresgleichen sucht, zeigen Regelungen wie der Paragraf 14a EnWG, wie anpassungsfähig die deutsche Energiewirtschaft ist – auch wenn der genannte Paragraf viele Netzbetreiber nach wie vor herausfordert. Denn zum einen wurde er in Abstimmung mit der Branche erarbeitet und so eine umsetzbare Lösung gefunden. Zum anderen konnte ein wichtiger Impuls für notwendige Fähigkeiten in einem dezentraleren Energiesystem gesetzt wer‐ den. Die Branche hat schnell reagiert und Lösungen entwickelt, die zeigen, dass es geht.
Dass deutsche Unternehmen Vorreiter bei der Entwicklung leistungsfähiger Werkzeuge zur Beschleunigung der Energiewende sind, haben wir in der Vergangenheit bereits bei anderen Technologien wie Photovoltaik, Windkraft oder Wärmepumpen bewiesen. Leider haben wir unsere Technologieführerschaft in vielen Fällen auch wieder verspielt. Die Digitalisierung unseres Energiesystems bietet jedoch neue Chancen. So sind wir bei der Entwicklung digitaler Lösungen für die Netzinfrastruktur weltweit führend – trotz des schleppenden Smart-MeterRollouts. In Zeiten des KI-Hypes und eines globalen Wettrüstens der Technologiekonzerne sollten wir uns unserer technologischen Spitzenposition bewusst sein und diese konsequent weiterentwickeln.
Blick in die USA: 1,2 GW warten auf Netzanschluss
Wirft man beispielsweise einen Blick über den großen Teich, so stellt man fest, dass die USA – ein Land, das derzeit wie kein anderes fürtechnologischen Vorsprung gerade im Bereich der künstlichen Intelligenz steht – vor großen Problemen im Bereich der Energieinfrastruktur ste‐ hen. Denn diese ist alt und für den stetig steigenden Strombedarf nicht ausgelegt. Gleichzeitig führt der KI-Boom in den USA zum massiven Bau zahlreicher neuer Rechenzentren. Hinzu kommen nicht nur der industrielle und wirtschaftliche Aufschwung, der signifikante regionale Lastzuwächse verursacht, sondern auch deutlich mehr Windkraft- und PV-Freiflächenanlagen. Das Stromnetz ist allerdings meist noch nicht für die neuen Anforderungen ausgelegt und zudem durch einen hohen Freileitungsanteil anfällig für extreme Wettereignisse. Ein Umbau zu einem resilienteren und leistungsfähigeren Netz ist daher unabdingbar. Jegliche Verwendung für den nicht-privaten, kommerziellen Gebrauch bedarf der schriftlichen Zustimmung.
Teilweise ähnelt die Situation der deutschen aber auch: Es ist ein fragmentierter Markt mit über 3.000 Netzbetreibern. Die großen Akteure sind im Besitz von Investoren und decken etwa 70 Prozent des Netzes ab. Darüber hinaus gibt es mittlere und kleinere Netzbetreiberin kommunaler Hand und zahlreiche „Cooperatives“ im ländlichen Raum. Eine der größten Herausforderungen neben den großen regionalen Unterschieden in der Netzkapazität und dem aktuellen Zustand der Netze ist die sogenannte „interconnection queue“. Insgesamt warten in den USA nicht weniger als 1,2 GW Stromerzeugungskapazität auf ihren Anschluss an das Netz – ein immenses Problem für das Land mit dem zweitgrößten Strombedarf der Welt.
Smart Grids: Deutschland als Vorreiter
Mit einem digitalen Tool, das verfügbare Netzkapazitäten transparenter macht und Anfragen automatisiert bearbeitet, wäre den US-Netzbetreibern sehr geholfen. Da das US-Netz zudem sehr unterschiedlich in Zustand und Kapazität ist und für die Energiewende gerüstet werden muss, spielen auch zeitreihenbasierte Netzstudien und -simulationen eine große Rolle. Wir bei envelio haben diese Umstände als Chance begriffen. Deshalb expandieren wir gerade in die USA, um die Energiewende auch anderswo auf der Welt mit unseren Lösungen zu unterstützen.
Ob Deutschland oder die USA – die Energiewende stellt die Netzinfrastruktur und ihre Betreiber weltweit vor Herausforderungen. Wollen wir unsere Energieversorgung vollständig auf erneuerbare Energien umstellen, bilden Smart Grids die notwendige Grundlage – und zwar weltweit. Dass viele der dafür notwendigen Technologien und digitalen Lösungen aus Deutschland kommen, macht unsere heimische Energiewirtschaft zum weltweiten Vorreiter für eine nachhaltigere Energieversorgung – und dessen sollten wir uns bewusst sein.
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