Herausforderungen und Lösungen für die N-1-Ausfallanalyse in modernen Stromnetzen
Dadurch, dass immer mehr dezentrale Erzeuger und Verbraucher ins Netz integriert werden, wird unser Energiesystem immer komplexer und die Gewährleistung der Versorgungssicherheit immer kritischer. In diesem Zusammenhang spielt die N-1-Ausfallanalyse eine wichtige Rolle, doch es erfordert aufgrund der veränderten Netzstrukturen, dass die dahinterliegenden Prozesse optimiert und beschleunigt werden. In diesem Artikel gehen wir darauf ein, wie das N-1-Prinzip in der Praxis angewandt wird und welche Ansätze zur Optimierung der Prozesse beitragen können.
Was ist N-1-Kriterium?
Das N-1-Prinzip ist ein Grundsatz der Netzplanung und stellt ein wesentliches Instrument zur Sicherstellung der Netzzuverlässigkeit und Versorgungssicherheit dar. Im Wesentlichen besagt das N-1-Kriterium, dass ein Stromnetz den Ausfall einer einzelnen Netzkomponente (wie einer Leitung oder eines Transformators) verkraften muss, ohne dass die Versorgung unterbrochen wird.
Die Sicherstellung, dass ein Netz die N-1-Regel auch einhalten kann, ist entscheidend, um die Häufigkeit und Dauer von Stromausfällen zu minimieren, was sich direkt auf wichtige Zuverlässigkeitskennzahlen wie SAIDI (System Average Interruption Duration Index), SAIFI (System Average Interruption Frequency Index) und CAIDI (Customer Average Interruption Duration Index) auswirkt.
Grundsätzlich kann das N-1-Kriterium auf allen Netzebenen angewendet werden, kommt allerdings in der Praxis nicht überall zum Tragen. Im Kontext der Verteilnetze hat die N-1-Sicherheit zum Beispiel in der Mittelspannung eine sehr hohe Bedeutung. Wenn eine Komponente im Mittelspannungsnetz ausfällt, können große Teile des Netzes unterbrochen werden, wodurch nicht nur einzelne Haushalte betroffen wären, sondern vor allem kritische Betriebe, die auf eine kontinuierliche Stromversorgung angewiesen sind, sowie gesamten unterlagerten Netze, die von dem betroffenen Bereich abhängen. Um die N-1-Sicherheit zu erreichen, werden daher die Mittelspannungsnetze vermascht oder als Ringnetze ausgelegt und üblicherweise offen betrieben.
In der Niederspannung hingegen spielt das N-1-Kriterium eine geringere Rolle, weil die Folgen eines Ausfalls vergleichsweise milder sind als in der Mittelspannung. Deshalb bietet auch die Struktur des Netzes teilweise keine Schaltoptionen. Allerdings kann die N-1-Ausfallanalyse in bestimmten Szenarien, wie zum Beispiel beim geplanten Ausfall eines Betriebsmittel im Rahmen der Wartungsarbeiten, auch im Niederspannungsnetz einen Einsatz finden.
Die praktische Umsetzung der N-1-Ausfallanalyse im Verteilnetz
Die Einhaltung des N-1-Kriteriums in der Praxis wird grundsätzlich dadurch ermöglicht, dass jedes Netz ein gewisses Maß an Redundanz aufweist, die zum Beispiel beim Aufbau der Schaltanlagen und Leitungen berücksichtigt wird. Dies bedeutet, dass die Kapazität gewisser Betriebsmittel dauerhaft nicht komplett ausgenutzt wird, sondern oft nur zur Hälfte.
Je nach Netz kann außerdem der Strom über alternative Wege umgeleitet werden, um die Versorgung aufrechtzuerhalten – das Konzept der offenen Ringe in der Netzstruktur – oder der Stromfluss durch den Einsatz von Schaltanlagen neu konfiguriert werden, um den Ausfall zu kompensieren und den Stromausfall zu minimieren. Im Kontext der Verteilnetze wird der erste Ansatz häufig in Hochspannungsnetzen angewandt, während in Mittelspannungsnetzen eher der zweite Ansatz zur Anwendung kommt.
Im Rahmen der Simulationsrechnungen werden sämtliche Betriebsmittel – gleichgültig ob eine Leitung oder Transformator – der Prüfung unterzogen. Dabei wird darauf geachtet, dass nicht nur die Spannungen an den Netzknoten innerhalb zulässiger Grenzen verbleiben, sondern auch dass die restlichen Betriebsmittel nicht überlastet werden. Außerdem dürfen sich keine Folgestörungen entwickeln oder kaskadenartige Störungsausweitung erfolgen.
Anders als im Übertragungsnetz, wo die N-1-Sicherheit im laufenden Betrieb kontinuierlich überprüft wird, erfolgt dies im Verteilnetz jedoch nur sporadisch. Darüber hinaus sind diese N-1-Prüfungen in vielen Netzbetrieben nach wie vor von vielen manuellen Eingriffen geprägt, bei denen die Netzplaner einzelne Fehlerpunkte im Netz simulieren und Wiederversorgungsoptionen manuell ermitteln und bewerten müssen.
Die Problematik der heutigen Herangehensweise bei der N-1-Ausfallanalyse auf der Verteilnetzebene
Da die Anzahl der möglichen Fehlerorte sowie der Schaltmöglichkeiten in der Mittelspannung je nach Netzgröße überproportional ansteigt, wird in der Praxis häufig auch nur ein kleiner Teil der Fehlerorte auf ihre N-1-Sicherheit evaluiert. Außerdem müssen bei der Suche nach den Umschaltoptionen oft auch die Nachbarnetze mitberücksichtigt werden, die allerdings häufig nicht Teil des bestehenden Netzmodells sind und zusätzlich modelliert werden müssen.
Während diese Herangehensweise in der Vergangenheit ausreichend war, stößt sie heute aufgrund der steigenden Komplexität und der wachsenden Anzahl dezentraler Erzeuger zunehmend an ihre Grenzen. Das Stromnetz von heute muss nicht mehr nur auf traditionelle Lasten reagieren, sondern auch auf die wetterabhängige Einspeisung aus erneuerbaren Quellen, die zu unvorhergesehenen Belastungsspitzen oder -senkungen führen können. Zusätzlich kommt es durch die Vielzahl an dezentralen Erzeugern häufiger zu Rückspeisungen ins Netz, was ebenfalls zu ungewohnten Belastungen führen kann.
Diese steigende Dynamik in den Netzen führt dazu, dass potenzielle Schwachstellen unerkannt bleiben können, wenn nur ein Teil der Netze, und zwar nur gelegentlich der N-1-Prüfung unterzogen wird.
Vielmehr soll die N-1-Ausfallanalyse nach jeder bedeutenden Veränderung im Netz, wie z.B. neuen Lasten, Einspeisungen, Schaltzuständen oder der Integration von Spannungsregelungen, regelmäßig und für das gesamte Netzgebiet durchgeführt werden.
Die Automatisierung der N-1-Ausfallsimulation
Diese Entwicklungen machen es notwendig, den bisherigen Ansatz weiterzuentwickeln und die einzelnen Schritte zu automatisieren bzw. einen deutlich höheren Automatisierungsgrad bei der Durchführung von N-1-Prüfungen zu erzielen.
Heute stehen den Netzbetreibern bereits einige Tools zur Verfügung, welche eine gewisse Automatisierung und Unterstützung bei der N-1-Prüfung anbieten. So können Netzbetreiber z.B. nachdem sie bestimmte Fehlerorte manuell vorausgewählt haben, die Überprüfung dieser Orte auf ihre N-1-Sicherheit automatisch durchführen lassen.
Diese Teilautomatisierung funktioniert gut für kleinere Netzbereiche; bei größeren Netzen kann sie jedoch zu einem bedeutenden Zeitaufwand führen. Deshalb soll im Idealfall auch die Suche nach allen möglichen Orten, die nicht N-1-sicher sind, automatisiert werden, um den manuellen Input und dementsprechend den zeitlichen Aufwand möglichst gering zu halten.
Genau das bieten wir mit der IGP an. Unser automatisierter N-1-Check ist darauf ausgelegt, auch große und komplexe Netze schnell und effizient zu analysieren. Anhand spezifischer Parametrierungen untersucht er gezielt alle Stellen, die Betriebsmittel enthalten, deren Ausfall die Versorgungssicherheit der Netzteilnehmer und der unterlagerten Stationen gefährden kann.
Und er geht dabei noch weiter: Für jeden identifizierten potenziellen Ausfallort schlägt das Tool automatisch eine Schaltkombination vor, bei der die Wiederversorgung sichergestellt wird und der Grenzlast-Faktor innerhalb der tolerierten Werte bleibt. Durch diese umfassende Automatisierung reduziert die IGP somit den manuellen Aufwand der Netzplaner erheblich und beschleunigt den gesamten Prozess der N-1-Ausfallanalyse.
Dadurch, dass die IGP einen vollständigen digitalen Zwilling des gesamten Netzgebiets enthält, werden auch die benachbarten Netze direkt mitberücksichtigt, ohne dass man sie zusätzlich modellieren muss.
Die Vollautomatisierung der N-1-Ausfallanalyse, wie sie durch die IGP ermöglicht wird, eröffnet Anwendungsbereiche, die aufgrund des hohen manuellen Aufwands sonst kaum umsetzbar wären. So kann man zum Beispiel innerhalb unserer App ‘Anschlussprüfung’ die N-1-Analyse für Lasten in der Mittelspannung durchführen, um noch in der Anschlussprüfungsphase evaluieren zu können, ob diese auch im Fall eines Komponentenausfalls weiterhin versorgt werden. Dies ist vor allem für kritische Betriebe wie Krankenhäuser oder Industrieanlagen entscheidend, da eine zuverlässige Versorgung selbst bei Ausfällen unerlässlich ist, um den Betrieb ohne Unterbrechung sicherzustellen und mögliche Schäden oder Gefährdungen zu vermeiden.
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Mit der fortschreitenden Integration dezentraler Erzeuger und der zunehmenden Komplexität in den Netzen wird es immer entscheidender, die Versorgungszuverlässigkeit kontinuierlich im Blick zu behalten. Vor diesem Hintergrund wird die vollständige Automatisierung der N-1-Ausfallanalyse zu einem entscheidenden Faktor, um die wachsenden Anforderungen an die Versorgungssicherheit zu erfüllen.
Darüber hinaus können Redundanzen im Netz gezielter eingesetzt werden, sodass Betriebsmittel nicht unnötig überdimensioniert oder unterausgelastet bleiben. Dadurch werden die vorhandenen Kapazitäten deutlich effizienter ausgenutzt und der Netzaufbau flexibler gestaltet, um die Integration und Nutzung erneuerbarer Energien optimal zu unterstützen.