Smart Meter-Rollout in Deutschland: Wann sind wir soweit?

Spanien, Italien, Schweden, Niederlande, Estland, Finnland, Dänemark – all diese Länder haben gemein, dass sie den Smart Meter-Rollout entweder schon komplett abgeschlossen oder bereits weit über 80% Einbaurate erreicht haben. Deutschland steckt dagegen noch in den Kinderschuhen. Auf dem Future Energy Lab der dena im Oktober 2022 sprach Bouke Stoffelsma, Vorstand des Metering-Dienstleisters Hausheld von gerade erst 1% der Einbaurate bei den Kunden – und dieser Wert gilt erst als zu erreichen bis 2023. In Realität liegt die Einbaurate also momentan unter 1%. Woran es beim Smart Meter-Rollout in Deutschland hakt, was die erfolgreichen Länder anders machen, und was Smart Meter Daten überhaupt bringen – diese Fragen versuchen wir im Folgenden zu beantworten.

Regulatorische und kulturelle Hürden, die den Smart Meter-Rollout ausbremsen

Die Bundesregierung gab Anfang 2020 den Auftakt für den Smart Meter-Rollout in Deutschland bekannt – doch dieser wurde gestoppt noch bevor er richtig begonnen hat. Das Oberverwaltungsgericht Münster erklärte die sogenannte Markterklärung vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) für “voraussichtlich rechtswidrig”. Erst die Anpassung des Messstellenbetriebsgesetztes (MsbG) im Mai 2022 – übrigens nur fünf Tage vor der mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren – ermöglichte es, den Smart Meter-Rollout vorerst fortzusetzen.

Man bedenke aber, dass die Bundesregierung noch 2016 mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende die Pflicht zum Einbau von intelligenten Stromzählern beschlossen hat. Warum hat es überhaupt vier Jahre gedauert, dem Rollout grünes Licht zu geben? Dieses Thema – zwar nicht direkt, sondern vielmehr als unterschwelliges Eingeständnis – wurde, neben anderen Fragen rund um den Smart Meter-Rollout, bei der Veranstaltung “Neustart für den Smart Meter-Rollout – Aufbruch in ein digitales Energiesystem” der Deutschen Energie-Agentur (dena) diskutiert.

Smart Metering Technologie ist da, die Agilität fehlt

Klar ist: auf der technischen Seite sind die Voraussetzungen bereits geschaffen. Es gibt sichere intelligente Messsysteme auf dem deutschen Markt und auch Strategien, die eine zügige Umrüstung ermöglichen würden. So setzen einige Metering-Dienstleister auf nur ein Smart Meter Gateway für gleich mehrere intelligente Stromzähler mit integriertem Funkmodul; die Installation erfolgt straßenweise anstatt punktuell für vereinzelte Haushalte.

Mit der Überarbeitung des MsbG will nun Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die juristischen und womöglich auch politischen Hürden für einen flächendeckenden Smart Meter Rollout aus dem Weg schaffen.

Es liege jedoch nicht nur an der Politik, meinte Robert Busch, Geschäftsführer des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft (bne), sondern auch daran, dass “wir hier in Deutschland nicht die Agilitäts-Weltmeister sondern die Komplexitäts-Weltmeister sind”. Auch Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer der Bitkom, sprach davon, dass Deutschland “mehr Beta” und mehr Agilität und Flexibilität wagen muss, um weniger perfektionistisch zu sein und zum Beispiel ein Produkt auch im laufenden Betrieb nachzuentwickeln.

Dr. Peter Heuell, Executive Managing Director beim EMH metering GmbH, hat auch bei anderen europäischen Rollouts mitgewirkt. Nach seiner Erfahrung fand die Umrüstung pro Gebiet häufig auf einen Schlag statt, indem durch reguläre Monteure die alten Zähler gegen intelligente Messsysteme überall pauschal ausgetauscht wurden, ohne dass es punktuell überprüft wurde, ob die neuen Stromzähler erwartungsgemäß Daten erfassen und übertragen. Erst nach dem Austausch erfolgte die Überprüfung durch das System des jeweiligen Netzbetreibers. An den Messpunkten, wo die Geräte nicht erwartungsgemäß funktionierten, kam der Spezialmonteur ins Spiel.

In Deutschland dagegen muss man, seiner Aussage nach, “von vorn herein einen Spezialmonteur nehmen, weil er so lange bleiben muss, bis das Ganze geht”. Diese Verfahrensweise sei äußerst ineffizient für einen Smart Meter Rollout, der schnell und wirtschaftlichen gehen soll.

Was zeichnete erfolgreiche Smart Meter-Rollout Projekte in anderen Ländern aus?

Viele europäischen Länder haben es am eigenen Beispiel gezeigt, dass es auch anders gehen kann – nicht immer zügiger, dafür aber entschiedener. Bitkom hat die Erfolgsfaktoren in vier Ländern (Italien, Spanien, Schweden und Niederlande) analysiert und in einem 2022 Paper (pdf) zusammengefasst.

Das Spannende ist – auch wenn sich die Abläufe und die Anreize vom Land zum Land unterscheiden, eins haben alle vier gemeinsam: der Staat war nicht die treibende Kraft hinter der Umrüstung, sondern vielmehr die Energieversorger und die Netzbetreiber selbst.

Wichtig ist aber auch, dass der Staat eine klare rechtliche Grundlage für einen schnelleren, dynamischeren Rollout geschaffen hat – entweder durch lockere Rahmenbedingungen von Anfang an oder im Nachgang durch regulatorische Anpassungen.

So gab Schweden zum Beispiel verpflichtend das Ziel vor, eine monatliche Stromabrechnung zu ermöglichen; Angaben zur technischen Umsetzung gab es dabei keine. Um die Kosten für eine monatliche manuelle Ablesung zu sparen, entschieden sich die Stromversorger selbst für die Fernablesung über Smart Meter Gateway. Die Ersparnis von Ablesekosten zu ermöglichen war auch die Motivation des italienischen Energieversorgers ENEL Distribuzione, der den Smart Meter-Rollout in seinem Land angestoßen hat.

Dem Thema des deutschen Perfektionismus steht auch das Beispiel der Niederlande entgegen, wo der flächendeckende Rollout – zugegeben, erst nach den entsprechenden regulatorischen Anpassungen als Reaktion auf die Protestwelle gegen die wahrgenommene Datenschutzverletzung – auch mit reduziertem Funktionsumfang stattfand. An dieser Stelle treffen auch wieder die Worte von bne-Chef Robert Busch zu, dass es möglich sein müsse, “ein Produkt auch im laufenden Betrieb nachzuentwickeln”.

Was bringen die Smart Meter Daten den Netzbetreibern überhaupt?

“[Intelligente] Messsysteme bilden das Rückgrat des Energiesystems”, so stand es auf den Slides von Hausheld-Vorstand Bouke Stoffelsma bei denas “Neustart für den Smart Meter-Rollout – Aufbruch in ein digitales Energiesystem”. In der Tat waren die Themen Netztransparenz, Lastenausgleich und Lastflusssteuerung noch nie so wichtig wie heute, wenn dezentral immer mehr Strom durch erneuerbare Energien produziert und gleichzeitig durch den Trend hin zu E-Mobilität verbraucht wird.

Wie diese Themen durch ein intelligentes Verarbeiten der über Smart Meter Gateway gewonnenen Daten angegangen werden können, zeigt der estnische Verteilnetzbetreiber Elektrilevi, der zusammen mit dem Netzmanagement- Dienstleister Enefit Connect OÜ in der Intelligent Grid Platform von envelio einen Digitalen Zwilling seines Netzes erstellt. Der Digitale Zwilling ermöglicht dabei nicht nur eine hohe Transparenz der Ist-Situation im Netz, sondern auch eine wesentlich präzisere Grundlage für Netzsimulationen und alle Prozesse rund um die Zielnetzplanung.

Das RES-Projekt Estland, das im Zuge des Renewable-Energy-Solutions-Programms der Exportinitiative Energie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert wird, setzt sich zum Ziel, das Verteilnetz für neue Stromerzeugungsanlagen und neue Lasten zukunftssicher zu machen. Dabei bilden die Smart Meter Daten in Kombination mit topologischen und strukturellen Netzinformationen die notwendige Grundlage für die Erstellung eines Digitalen Zwillings des Verteilnetzes von Elektrilevi.

Fazit

Robert Habeck verkündete im Oktober 2022 einen Neustart für den Smart Meter-Rollout in Deutschland. Viele Branchen-Experten begrüßen es, doch die Zeit könnte zu knapp werden, um die festgelegten Ziele der Digitalisierung der Energiewende bis zum nächsten Meilenstein 2030 zu erreichen. Schleppendes und zum Teil rigides Handeln der Bundesregierung, die “alles muss perfekt sitzen”-Mentalität und organisatorische Mängel sind wohl der Experten-Einschätzung nach die Gründe dafür, dass Deutschland mit dem Smart Meter- Rollout nicht einmal begonnen hat, während einige Länder bereits in der Phase 2 (Einbau der intelligenten Messsysteme der 2. Generation) sind.

Diskutieren Sie mit: Welche weiteren Hürden sehen Sie auf dem Weg des flächendeckenden Rollouts und Einbau von intelligenten Messsystemen? Wenn Sie ein Netzbetreiber sind, dann würden wir auch gerne Ihre Meinung wissen, welche Vorteile – oder aber auch Nachteile – Sie bei der Umrüstung auf Smart Meter sehen.

Deutsche Energie-Agentur (dena)

Die Deutsche Energie-Agentur (dena) ist ein Kompetenzzentrum für angewandte Energiewende und Klimaschutz. Die dena betrachtet die Herausforderungen einer klimaneutralen Gesellschaft und unterstützt die Bundesregierung beim Erreichen ihrer energie- und klimapolitischen Ziele. Seit ihrer Gründung im Jahr 2000 entwickelt die Agentur Lösungen, setzt diese in die Praxis um und bringt Partner aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und allen Teilen der Gesellschaft zusammen – national wie international. Die dena ist eine Projektgesellschaft und ein öffentliches Unternehmen im Bundeseigentum. Gesellschafter sind die Bundesrepublik Deutschland und die KfW Bankengruppe.
www.dena.de

Exportinitiative Energie

Mit dem Ziel, deutsche Technologien und Know-how weltweit zu positionieren, unterstützt die Exportinitiative Energie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Anbieter von klimafreundlichen Energielösungen bei der Erschließung von Auslandsmärkten. Im Fokus stehen hierbei die Bereiche erneuerbare Energien, Energieeffizienz, intelligente Netze und Speicher sowie auch Technologien wie Power-to-Gas und Brennstoffzellen. Das Angebot richtet sich insbesondere an kleine und mittlere Unternehmen und unterstützt die Teilnehmenden durch Maßnahmen zur Marktvorbereitung sowie bei der Marktsondierung, -erschließung und -sicherung.
www.german-energy-solutions.de

Renewable-Energy-Solutions-Programm (RES-Programm)

Mit dem RES-Programm unterstützt die Exportinitiative Energie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) deutsche Unternehmen der Erneuerbare-Energien- sowie Energieeffizienz-Branche bei der Erschließung neuer Absatzmärkte. Im Rahmen des Programms werden Referenzanlagen in einem Zielmarkt errichtet und mit Unterstützung der Deutschen Energie Agentur (dena) öffentlichkeits- und werbewirksam vermarktet. Durch Informationsvermittlung sowie Schulungsaktivitäten wird die Nachhaltigkeit des Markteintritts gefördert und die Qualität klimafreundlicher Technologien aus Deutschland demonstriert.
www.german-energy-solutions.de/res-programm.html

Zusätzliche Informationen zu Smart Meter Rollout in Deutschland

Im Juli 2020 veröffentlichte BSI und BMWK das Rahmendokument „Stufenmodell zur Weiterentwicklung der Standards für die Digitalisierung der Energiewende“, das auf die Umsetzung der Digitalisierung des Energiesystems eingeht, vor allem aber natürlich mithilfe der intelligenten Messsysteme, also digitaler Stromzähler. Dabei geht es um den Pfad für die stufenweise Entwicklung von intelligenten Messsystemen (iMSys), der nicht nur die erforderlichen Funktionen und energiewirtschaftliche Anwendungsfälle erfasst, sondern auch auf die Sektorkopplung von Strom, Verkehr und Wärme eingeht.

Für die erste Version (die Version 1.0) des Dokuments, die am 31.07.2020 erschien, wurde ein umfangreicher Input aus der Branche in Form von Fragebögen und begleitenden Interviews erhebt. Daraufhin entstand ein Papier zur technischen Eckpunkten für die Weiterentwicklung der Standards. Diese Eckpunkte dienten dann als Grundlage für die Version 2.0 des sog. Stufenmodelldokuments, die am 18.06.2021 von BSI und BMWK veröffentlicht wurde. Anschließend wurde die Version 2.0 ebenfalls für die Branchenkommentierung bereitgestellt. Die Version 2.1, die nur drei Monate später erschien, war das Ergebnis der Umsetzung von diesen Kommentaren und Rückmeldungen. Die auch heute noch aktuelle Version von 2.1, die am 11.11.2021 veröffentlicht wurde, enthält lediglich redaktionelle Anpassungen. Wann die nächste Überarbeitung geplant ist, ist derzeit noch ungewiss.

Besonders interessant finden wir dabei den Teil 1 der Version 2.1, die energiewirtschaftliche Anwendungsfälle. Unter anderem werden dort auch solche Fälle beschrieben, wie Steuerung von Verbrauchseinrichtungen in der Niederspannung oder Erhebung erweiterter Zustandsdaten der Stromnetze. Das zeigt nochmals, dass der Einbau der intelligenten Stromzähler ein wichtiger Schritt für die Digitalisierung sowie Automatisierung der Prozesse in den Stromnetzen sind, um die Energiewende erfolgreich vorantreiben zu können.