Neue Ära im Betrieb der Niederspannungsnetze – NS-Leitsystem

Leitsysteme sind entscheidend für das Betriebsmanagement von Stromnetzen, da sie Fernüberwachung, Datenerfassung und Steuerung verschiedener Prozesse ermöglichen. Traditionell werden sie auf mittleren und hohen Spannungsebenen eingesetzt. Derzeit findet aber ein Paradigmenwechsel hin zur Implementierung von Leitsystemen in Niederspannungsnetzen (NS-Netzen) statt.

Die steigende Nachfrage nach intelligenten Lösungen für Niederspannungsnetze

Historisch betrachtet wurden NS-Netze mit einem geringeren Fokus auf Echtzeit-Datenüberwachung und -analytik betrieben, hauptsächlich aufgrund ihrer relativ einfachen und vorhersehbaren Lastmuster. Der Übergang zu einer dezentraleren Energielandschaft sowie das Bestreben, den globalen CO2-Fußabdruck zu reduzieren, haben jedoch zu einer Reihe neuer Herausforderungen für den Betrieb von NS-Netzen geführt.

So führen die zunehmend dezentrale Einspeisung auf der einen Seite und die höhere Durchdringung von Verbrauchern wie Ladesäulen und Wärmepumpen auf der anderen Seite zur erhöhten Aus- und Belastung der Niederspannungsnetze. Damit steigt die Gefahr von Fehlern und Störungen, sei es durch Überlastungen im Netz oder durch auslösende Sicherungen.

Darüber hinaus erfordern die zunehmende Komplexität und Dynamik in den Stromnetzen einen aktiveren Netzbetrieb, der sich beispielsweise durch häufigeres Umschalten oder künftig durch Steuerungseingriffe nach §14a EnWG auszeichnet.

Der konventionelle Ansatz für den Netzbetrieb, der durch manuelle Eingriffe und fehlende flächendeckende bzw. zeitlich hochaufgelöste Überwachung geprägt ist, stößt hier an Grenzen. Um den dynamischen Anforderungen moderner Energiesysteme gerecht zu werden, bedarf es einer präziseren Überwachung sowie einer grundsätzlich höheren Transparenz des Netzzustandes. Es erfordert zudem agile und reaktionsschnellere Systeme, um frühzeitig Probleme und Fehler zu erkennen und zu beheben. Gleichzeitig müssen viele etablierte Betriebsprozesse aus der für Hoch- und Mittelspannung neu gedacht und auf Massendaten und -prozesse in der Niederspannung angepasst werden. Zusammengenommen treiben diese Trends die Nachfrage nach einer neuen Kategorie von Unterstützungssystemen an: den Leitsystemen für die Niederspannung.

Hardwarekomponenten eines Niederspannungsleitsystems

Im Kern eines Leitsystems für Stromnetze befinden sich mehrere kritische Hardware- und Softwarekomponenten. Traditionell gehören zu wesentlichen Hardwarekomponenten Sensoren und Aktoren, die im gesamten Netzwerk für die Datenerfassung bzw. Ausführung von Steuerbefehlen angebracht werden, sowie Fernwirkungsgeräte (RTUs), die als Schnittstelle zwischen Feldgeräten und dem zentralen Leitsystem dienen.

Darüber hinaus ergibt sich im Kontext eines Niederspannungsleitsystems eine höhere Bedeutung von intelligenten Messsystemen (IMSys) über ihre traditionelle Rolle hinaus. Intelligente Messsysteme sammeln detaillierte Energieverbrauchsdaten in kurzen zeitlichen Abständen direkt vom Endnutzer. Diese Daten bieten wertvolle Einblicke in die Verbrauchsmuster, den Netzzustand und Potenziale für Effizienzverbesserungen.

Wenn IMSys-Daten also in Niederspannungsleitsysteme integriert werden, können sie die Fähigkeiten des Leitsystems deutlich verbessern. Sie tragen zu einer erhöhten Sichtbarkeit des Niederspannungsnetzes bei, ermöglichen die Umsetzung von Flexibilitätsmanagement (bzw. Laststeuerung) und helfen bei der schnelleren Identifizierung und Lokalisierung von Fehlern im NS-Netz.

Neben den Intelligenten Messsystemen wird zusätzliche Hardware für die Ausführung von Steuerbefehlen auf Niederspannungsebene erforderlich sein, um Energieverbrauch bzw. Einspeisung gemäß den Vorgaben des Leitsystems anzupassen. In diesem Zusammenhang spielen Smart Meter Gateways sowie Steuerboxen, auch wenn diese nicht direkt zu Hardwarekomponenten des Leitsystems gehören, eine wichtige Rolle. Sie ermöglichen eine Kommunikation und Steuerung der Verbrauchsanlagen und unterstützen somit das Leitsystem bei der Optimierung des Energieverbrauchs während Spitzenzeiten.

Softwarekomponenten eines Niederspannungsleitsystems

Eine detailliertere Überwachung des Netzzustandes als bessere Grundlage für die Entscheidungsfindung in der Betriebsführung erfordern, dass mehr Datenpunkte gesammelt, verarbeitet und analysiert werden müssen. Nur so können Funktionen wie die Zustandsschätzung des Niederspannungsnetzes umgesetzt und Engpässe schnell identifiziert und behoben werden. Die zur Verfügung stehenden Daten umfassen dabei nicht nur eine breite Palette von Netzdaten wie Transformator- oder Abgangsmessungen, sondern auch hochaufgelöste Zustandsdaten aus den IMSys gemäß Tarifanwendungsfall (TAF) 10.

All das stellt völlig neue Anforderungen an Softwaresysteme als bei einem konventionellen Leitsystem. Es erfordert mehr Schnittstellen, die flexibel sind, und eine skalierbare, leistungsfähige IT-Architektur.

Die Fähigkeit, Massendaten effizient zu verwalten, wird dabei immer wichtiger, da die Menge an Daten, die aus verschiedenen Quellen des Energienetzes gesammelt werden, stetig zunimmt. Bei steigender Durchdringung von Intelligenten Messsystemen können schnell Millionen von Datenpunkten anfallen. Ein Niederspannungsleitsystem muss imstande sein, aus diesen großen Datenmengen die wesentlichen Informationen zu filtern und für den Nutzer bereitzustellen. Dies erfordert skalierbare und effiziente Datenverarbeitungs- und Analysemethoden.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht immer vollständige oder korrekte Daten zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang ist die Fähigkeit, mit mangelhafter Datenqualität oder mit einer geringen Durchdringung von Messdaten arbeiten zu können, ebenso kritisch. Ein gutes NS-Leitsystem muss daher über Algorithmen verfügen, die auch unter dieser Unsicherheit verlässliche Analyse- und Prognosefähigkeiten bieten.

Darüber hinaus muss ein Niederspannungsleitsystem einen hohen Automatisierungsgrad bieten. Der Niederspannungsbereich umfasst um Größenordnungen mehr Netze und Betriebsmittel, als der MS- oder HS-Bereich. Eine Überwachung und Steuerung, die auf traditionelle, sprich weitgehend manuelle, Weise erfolgt, kann mit den verfügbaren Personalressourcen nicht bewältigt werden.

Automatisierte Systeme und Prozesse sind daher entscheidend, um die Effizienz und Zuverlässigkeit der Netzüberwachung und -steuerung zu gewährleisten. Diese Automatisierung trägt nicht nur zur Bewältigung der Komplexität und des Umfangs der erforderlichen Überwachung bei, sondern ermöglicht auch eine schnellere Reaktion auf Veränderungen im Netz.

Die Bedeutung von Niederspannungsleitsystemen in der modernen Energielandschaft

Was also treibt den steigenden Bedarf an Leitsystemen im Niederspannungsbereich an?

Die zunehmende Integration von dezentralen Energiesystemen wie Photovoltaik und Speichern sowie die Elektrifizierung der Wärme- und Mobilitätssektoren (denken Sie an Wärmepumpen und Ladestationen) erhöht die Dynamik im Stromnetz und führt zu einer stärkeren Belastung der Betriebsmittel. Daraus ergibt sich ein erhöhtes Risiko für Netzinstabilitäten und Ausfälle.

Diese Aspekte erfordern anspruchsvollere Netzmanagement- und Überwachungsfähigkeiten, um die Netzsicherheit zu gewährleisten und Energieflüsse zu optimieren.

Deshalb sind NS-Leitsysteme für moderne, nachhaltige und widerstandsfähige Stromnetze unerlässlich. Sie nehmen eine zentrale Rolle ein, um eine fortgeschrittene Überwachung und Steuerung von dezentralen Energiequellen auf Niederspannungsebene zu ermöglichen.

Allerdings muss das Konzept eines Leitsystems für den Niederspannungsbereich neu gedacht werden, da herkömmliche Systeme, die in höheren Spannungsebenen Anwendung finden, den besonderen Anforderungen der Niederspannungsnetze – vor allem im Hinblick auf die Verarbeitung von Massendaten und den Bedarf an hoher Automatisierung – nicht gerecht werden.

Es bedarf daher neuer und innovativer Lösungen, die speziell für die Anforderungen der Niederspannungsnetze konzipiert wurden, um eine effiziente Datenverarbeitung und automatisierte Entscheidungsfindung zu gewährleisten. Nur so lässt sich die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit moderner Stromnetze sicherstellen.